Hintergrund
In einem kürzlich veröffentlichten 6-seitigen Schreiben hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) am 22.02.2023 in 24 Ziffern neue Regelungen zur Handhabung der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer für Gebäude vorgestellt. In diesem Blogbeitrag fassen wir die wesentlichen Inhalte grob zusammen, bewerten die einzelnen Inhalte und erklären, was sich konkret ändert und ob Sie handeln müssen.
Das Wichtigste zum aktuellen BMF-Schreiben im Überblick:
1. Verschärfte Anforderungen an Gutachter:
Das Finanzministerium fordert ab sofort, dass das Gutachten als Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer entweder von einem öffentlich bestellten und vereidigten Gutachter oder einem nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierten Sachverständigen stammt.
Unsere Einschätzung dazu:
Die Anforderung ist eindeutig zu begrüßen. Im Sinne der steuerpflichtigen ist es sinnvoll, für möglichst einheitliche und hohe Standards für die Gutachten zu sorgen. In den vergangenen Monaten sind viele neue Anbieter für entsprechende Gutachten entstanden, die teilweise ohne fachliche Vorbildung und sachverständigem Know How Gutachten teilweise automatisiert Gutachten erstellt haben. Dieses Vorgehen widerspricht dem Prinzip der Einzelfallbetrachtung.
Handlungsbedarf:
Unsere Gutachten entsprachen bereits in der Vergangenheit den Qualitätsansprüchen der DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierten Gutachter. Gleichwohl wurden nicht alle Gutachten von zertifizierten Gutachtern erstellt – die war aus Kapazitätsgründen schwierig und die Anforderung dazu weder aus dem Gesetz noch der Rechtsprechung zu entnehmen.
Wir haben aufgrund des BMF-Schreibens die Struktur und den Aufbau unserer Gutachten komplett überarbeitet und lassen diese nun stets von nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierten Sachverständigen prüfen und unterzeichnen. Zudem bieten wir ab sofort die Nachbegutachtung für bereits erstellte Gutachten an für 289,00 € netto pro Gutachten an. Ihre Gutachten werden hierdurch komplett überarbeitet und auf den neuen Standard angepasst.
2. Methodische Anpassungen:
Der alleinige Verweis auf die Modellansätze der ImmoWertV sowie die bloße Übernahme einer Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten als Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer wird als nicht ausreichend eingeschätzt. Der Gutachtenzweck muss sich ausdrücklich auf den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer richten.
Unsere Einschätzung dazu:
Was genau unter der Formulierung „Der alleinige Verweis auf…“ zu verstehen ist, bleibt unklar. Das Modell der ImmoWertV wird sowohl im täglichen Gebrauch durch zahlreiche Gutachterbüros als auch in der Rechtsprechung (siehe Blogbeitrag ) als Methode anerkannt und bestätigt. Selbstverständlich reicht der Verweis auf das Modell nicht aus, sie muss sachgerecht und konform angewandt werden. Hinsichtlich des Gutachtenzwecks ist festzustellen, dass die Restnutzungsdauer in Wertermittlungsgutachten deutliche Unterschiede im Umfang der Begründung der Restnutzungsdauer bestehen. Eine generelle „Ungültigkeit“ dieser sachverständigen Einschätzung scheint jedoch nicht nachvollziehbar. Für die Wertermittlung werden die Nutzungsdauern aus dem Gutachten dann anerkannt, für die Höhe der Abschreibung nicht.
Handlungsbedarf:
Keiner. Wir haben bereits in der Vergangenheit neben dem Modell der ImmoWertV viele Aspekte in unsere Gutachten mit aufgenommen, wie beispielsweise eine ausführliche Analyse der Makro- und Mikrolage und deren Auswirkung auf die wirtschaftliche Nutzungsdauer. Unsere Gutachten waren stets konkret auf die Ermittlung der tatsächlichen Restnutzungsdauer im Sinne des § 7 Absatz 4 Satz 2 EStG gerichtet.
3. Fachliche Anforderungen:
Die Grundlage der Begründung einer kürzeren Restnutzungsdauer soll zwingend auf den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können, gerichtet sein. Darüber hinaus sollen auch andere Kriterien wie z.B. die mögliche Nachfolgenutzung berücksichtigt werden.
Unsere Einschätzung dazu:
Das BMF-Schreiben fährt direkt nach den o.g. Anforderungen mit der Bemerkung fort, dass der Steuerpflichtige sich auf die wirtschaftliche Restnutzungsdauer berufen kann, sofern diese kürzer ist als die technische Restnutzungsdauer. Dies bestätigt auch das BFH-Urteil vom 28. Juli 2021.
Unabhängig davon basiert die wirtschaftliche Restnutzungsdauer ohnehin auf technischen Determinanten. Bei der Berechnung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer gemäß ImmoWertV werden die wesentlichen Bauelemente nach ihrem Modernisierungsgrad beurteilt. Das BMF definiert die zu berücksichtigenden Bauteile jedoch anders als die ImmoWertV und geht zielt im Wesentlichen auf die langledige “Tragstruktur des Bauwerks (Dachkonstruktion, tragende Innen- und Außenwände, Geschossdecken und Fundament) als Hauptbestandteil des Gebäudes” ab. Die kostenintensiven und kurzlebigen Bauteile wie die technische Gebäudeausstattung, Sanitärinstallation und der Innenausbau, die in der ImmoWertV zudem Berücksichtigung finden, werden vom BMF nicht explizit erwähnt, haben aber große Auswirkung auf die technische und somit auch auf die wirtschaftliche Restnutzungsdauer.
Und auch die Bewertung einer möglichen Nachnutzung wirft viele Fragen auf. in Gutachten bewertet stets den aktuellen Zustand zum Zeitpunkt der Wertermittlung. Bei einem Gutachten zur Restnutzungsdauer liegt der Fokus auf dem Zeitpunkt der Begutachtung, um die verbleibende Restnutzungsdauer zum aktuellen Zeitpunkt zu berechnen und zu bewerten. Grundsätzlich kann zunächst eingeschätzt werden, dass ein Gebäude, wenn es das Ende seiner technischen Lebensdauer erreicht hat, auch für mögliche andere Nutzungen nicht ohne erhebliche Investition geeignet ist. Wenn das wirtschaftliche Nutzungsende erreicht ist, weil beispielsweise die aktuelle Nutzung wirtschaftlich nicht mehr möglich ist, eine alternative wirtschaftliche häufig von einem baurechtlichen Nutzungsänderungsantrag abhängig. Um für das Gebäude die Genehmigung für eine alternative wirtschaftliche Nutzung zu erhalten, sind entsprechende Genehmigungen notwendig, die an zukünftige Auflagen gebunden sind, beispielsweise in Bezug auf Schallschutz, Brandschutz oder Energieeffizienz. Es ist derzeit nicht möglich, die baurechtlichen Anforderungen der Zukunft oder die damit verbundenen finanziellen Aufwände für die Umwandlung des Gebäudes in eine andere Nutzungsart mit ausreichender Gewissheit vorherzusagen.
Handlungsbedarf:
Im Rahmen der Überarbeitung unserer Gutachten haben wir einen eigenen Gliederungspunkt für die Einschätzung der Nachnutzung ergänzt – auch wenn wir diesen inhaltlich nicht für sinnvoll erachten. Im Übrigen zielte die Einschätzung der Restnutzungsdauer auch in der Vergangenheit im wesentlichen auf den technischen Verschleiß des Gebäudes ab.
Zusammenfassung und Fazit:
Die Anforderungen aus dem Schreiben des BMF 22.02.2023 widersprechen sich teilweise einerseits direkt im Schreiben selbst und andererseits den einschlägigen Urteilen der Finanzgerichte – bis hin zum Bundesfinanzhof. Gleichwohl haben wir das Schreiben zum Anlass genommen, unsere Gutachten strukturell zu überarbeiten und an die Vorgaben des Schreibens anzupassen.
Denn eines ist klar: die Finanzverwaltung ist angewiesen, sich an die Vorgaben des BMFs zu halten. Demzufolge werden die beschriebenen Kriterien künftig in jedem Gutachten geprüft. Damit verringern wir das Risiko, dass unsere Gutachten von der Finanzverwaltung zurückgewiesen werden und unsere Kunden über den Widerspruchs- und Klageweg (welcher unserer Einschätzung nach unabhängig von der Überarbeitung große Erfolgschancen hat) gehen müssen.